Zwischen Adrenalin und Atemnot
- Clemens Richter
- 19. Juli
- 5 Min. Lesezeit
Höhenbedingte Erkrankungen – Die unsichtbare Gefahr beim Gipfelsturm

Die Faszination der Berge zieht Millionen von Menschen magisch an. Outdooraktivitäten im alpinen und hochalpinen Bereich erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Doch während die spektakuläre Natur einladend wirkt, birgt sie auch unsichtbare Risiken, die im Ernstfall schnell lebensbedrohlich werden können.
Der folgende Artikel gibt einen Überblick über die Grundlagen, Risikofaktoren und Behandlungsmöglichkeiten höhenbedingter Erkrankungen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Akute Bergkrankheit (ABK oder AMS- Acute Mountain Disease), das Höhenhirnödem (HHÖ oder HACE- High Altitude Cerebral Edema) und das Höhenlungenödem (HLÖ oder HAPE- High Altitude Pulmonal Edema).
Allgemeines
Wer hoch hinaus will, sollte sich mit den damit einhergehenden Risiken vertraut machen! Höhenbedingte Erkrankungen gehören zu den potenziell lebensbedrohlichen Gefahren einer Gipfelbesteigung und können bereits in moderaten Höhen auftreten. Egal ob Profibergsteiger oder Beginner- vor der Höhenkrankheit ist niemand per se sicher. Vor diesem Hintergrund wird schnell klar, dass eine gewissenhafte Vorbereitung und eine sinnvolle Tourenplanung essenziell sind, um die Gefahren von höhenbedingten Erkrankungen zu minimieren.
Zunächst soll einmal die Frage geklärt werden, was ist eigentlich "Höhe" und wie ist sie definiert? Der Begriff „Höhe“ ist in der Expeditions- und Bergmedizin nicht einheitlich definiert. Tabelle 1 zeigt die 3 Höhenbereiche, auf die sich der vorliegende Artikel bezieht:
Tabelle 1: Höhenbereiche in der Expeditions- und Bergmedizin, Quelle: (1)
Hintergrundwissen
Je höher man steigt, desto geringer der Luftdruck und desto geringer das Sauerstoffangebot in der Umgebungsluft. Zwar bleibt der Anteil des Sauerstoffs in der Umgebungsluft (21%) konstant, aber durch das verminderte Gesamtangebot an Luft, sinkt die zur Verfügung stehende absolute Menge an Sauerstoff (Sauerstoffpartialdruck) gleichermaßen und es kann immer weniger Sauerstoff über die Lunge ins Blut aufgenommen werden. In der Folge entsteht ein Sauerstoffmangel (Hypoxie).
Der Körper reagiert auf eine Hypoxie u.a. mit einer Erhöhung der Atemfrequenz/ Atemtiefe und einer Erhöhung des Pulsschlags. Diese Vorgänge stellen eine normale Anpassungsreaktion dar, welche bereits ab 1500m Höhe beginnen und sie haben zunächst keinen Krankheitswert (2).
Definition
Als höhenbedingte Erkrankungen gelten unerwünschte Reaktionen des Körpers auf den niedrigen Luftdruck und den Sauerstoffmangel in der Höhe (3).
Sie äußern sich in leichten Formen, wie der akuten Bergkrankheit (ABK), und in schwereren Formen, wie dem Höhenhirnödem (HHÖ) und dem Höhenlungenödem (HLÖ).
Risikofaktoren
Nicht jeder, der sich in große Höhen begibt, erfährt die Höhenkrankheit. Verschiedene Risikofaktoren erhöhen jedoch die Wahrscheinlichkeit, betroffen zu sein. Zu den wichtigsten zählen (3) (4):
1. Zu schneller Aufstieg in große Höhen ohne ausreichende Akklimatisierung.
2. Vorherige Höhenkrankheit erhöht das Risiko.
3. Individuelle Unterschiede in der Sauerstoffverwertung und -aufnahme können eine Rolle spielen (genetische Faktoren).
4. Flüssigkeitsmangel und Überanstrengung.
5. Vorbestehende Erkrankungen, insbesondere Herz- oder Lungenerkrankungen.
Ein fundiertes Wissen über diese Risikofaktoren kann Bergsteigern helfen, sich besser auf ihre Abenteuer vorzubereiten. Eine langsame Akklimatisierung, das Erkennen der ersten Anzeichen und das Wissen um die richtige Reaktion sind entscheidend, um die Gefahr zu minimieren.
Symptome
Die Symptome höhenbedingter Erkrankungen (vgl. Tabelle 2) sind ernsthafte Warnzeichen des Körpers, welche keinesfalls durch Medikamente oder falschen Ehrgeiz überspielt und missachtet werden sollten. Sofern die Symptome nicht durch Ruhepausen rückläufig sind, ist ein schnellstmöglicher Abstieg auf Höhen unter 2500m zwingend erforderlich.
Akute Bergkrankheit (ABK)
Die ABK beginnt ca. 4 - 6 Stunden nach dem Aufstieg und zeigt sich u.a. durch Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und einer Reduzierung der Leistungsfähigkeit. Sie kann bereits in Höhen oberhalb von 2000m auftreten. Die Prävalenz der ABK beträgt zwischen 8 und 25% in 2500 - 3000m Höhe und zwischen 40 - 60% in 4500m Höhe (1).
Höhenhirnödem (HHÖ)
Werden erste, milde Symptome der ABK ignoriert und die betroffene Person hält sich weiterhin in großer Höhe auf, kann der dauerhafte Sauerstoffmangel zu einem erhöhten Blutfluss im Gehirn führen und eine Störung der Blut- Hirn- Schranke nach sich ziehen. In der Folge kommt es zu einer pathologischen Flüssigkeitsansammlung im Gehirn (Hirnödem), die zu einer Hirndrucksteigerung führen kann (3).
Leitsymptome sind, zusätzlich zu denen der ABK, eine Rumpfataxie mit Gehunfähigkeit und/ oder Bewusstseinsstörungen. Aufgrund der Einklemmung des Hirnstammes, als Folge des gesteigerten Hirndrucks, kann das HHÖ sehr schnell, innerhalb von 24 Stunden zum Tod führen.
Höhenlungenödem (HLÖ)
Das HLÖ tritt typischerweise nach 48 Stunden Aufenthalt in Höhen zwischen 3000 - 4000m auf. Aufgrund spezifischer Mechanismen der Lunge kommt es unter diesen Bedingungen zu einer Gefäßverengung und einem Blutdruckanstieg im Lungenkreislauf. Aufgrund des erhöhten Drucks in den Lungengefäßen tritt Flüssigkeit aus den Gefäßen in die Lungenbläschen über (Lungenödem), was die Sauerstoffaufnahme massiv beeinträchtigt. Die Symptome des HLÖ (vgl. Tabelle 2) weisen auf einen potenziell lebensbedrohlichen Zustand hin und dürfen keinesfalls missachtet werden (3) (5).
Tabelle 2: Symptome höhenbedingter Erkrankungen, Quelle: (3) (5)
Diagnose
Ein einfaches Tool, womit jeder Bergsteiger eine Selbsteinschätzung vornehmen kann, ist das Lake Louise Scoring System (LLSS). Dieser Fragebogen wurde speziell für die Einschätzung der Symptome bei Erwachsenen, bei einem Verdacht auf höhenbedingte Erkrankungen, entwickelt. Tabelle 3 zeigt die Details des LLSS. Eine Punktzahl zwischen 3 und 5 deutet auf eine milde, akute Bergkrankheit hin. Eine Punktzahl von 6 oder mehr zeigt eine schwere akute Bergkrankheit an. Es gibt einige Varianten des LLSS, in denen der Score um weitere Prüffragen (klinische Befunde) erweitert ist (4).

Tabelle 3: Lake Louise Scoring System, Quelle: (3)
Ergänzend die Messung der Sauerstoffsättigung, mit Hilfe eines Pulsoxymeters hilfreich sein. Wie Abbildung 1 zeigt, sind derartige Systeme sehr klein und einfach zu handhaben. Allerdings können bei derartigen Systemen erhebliche Messungenauigkeiten entstehen, wenn die Finger besonders kalt sind.
Empfehlungen und Maßnahmen
Die Behandlung von höhenbedingten Erkrankungen erfordert schnelles Handeln. Die wichtigste Maßnahme bei akuten mittleren bis schweren Symptomen ist ein sofortiger Abstieg um mindestens 1000m.
Sollte ein Abstieg aus verschiedenen Gründen nicht möglich sein, muss eine bestmögliche Behandlung vor Ort stattfinden. Primäres Ziel dabei ist die Verbesserung der Sauerstoffaufnahme. Die Einnahme spezifischer Medikamente (NSARs, Steroide, pulmonale Blutdrucksenker) sollte nur nach vorheriger ärztlicher Rücksprache erfolgen.
Präventive Maßnahmen, wie eine langsame Akklimatisierung und die Durchführung spezieller Erste-Hilfe-Kurse, können entscheidend sein, um im Notfall richtig zu handeln und Bergsteiger auf Notfälle in alpinen Regionen vorzubereiten.
Literaturverzeichnis
1. Schommer k, Bärtsch P. Basic medical advice for travelers to high altitudes. Deutsches Aerzteblatt Int. 108 (49), 2011.
2. Institut für Internationale Gesundheit. Interantionale Gesundheit Charité. [Online] [Cited: 02 11, 2025.] httpps://internationale-gesundheit.charité.de/fileadmin/user_upload/microsites/m_cc11/internationale-gesundheit/Höhenkrankheit_2024.pdf.
3. Universitätsspital Zürich. USZ. [Online] Januar 24, 2025. [Cited: Februar 11, 2025.] https://www.usz.ch/krankheit/hoehenkrankheit.
4. ZFS Muenster. Reisemedizinische Praxis im ZfS- Zentrum für Sportmedizin. [Online] April 2008. [Cited: Februar 14, 2025.] https://zfs-muenster.de/wp-content/uploads/2020/11/dokument_bergmedizin.pdf.
5. Amt, Auswärtiges. Aufenthalt in großer Höhe und höhenbedingte Erkrankungen. [Online] November 04, 2022. [Cited: Februar 12, 2025.] https://www.auswaertiges-amt.de/de/reiseundsicherheit/reise-gesundheit/hoehenkrankheit-2519606.
6. Schommer, Kai and Bärtsch, Peter. Basiswissen für die höhenmedizinische Beratung. Deutsches Aerzteblatt. Dezember 9, 2011, 49.
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Höhenbereiche in der Expeditions- und Bergmedizin, Quelle: (1)
Tabelle 2: Symptome höhenbedingter Erkrankungen, Quelle: (3) (5)
Tabelle 3: Lake Louise Scoring System, Quelle: (3)



